Folge #10 Weltkrebstag: Wie geht ein Leben mit Krebs?
Am 4. Februar ist Weltkrebstag. Unser Gast, Christian Scherer, Geschäftsführer der Krebshilfe Steiermark, steht uns Rede und Antwort zu wichtigen Fragen rund um das Thema Krebs.
In der Folge #10 des „Gesund informiert“-Podcast hören Sie, ob man allen von einer Krebserkrankung erzählen soll, ob Dr. Google eine Hilfe für Angehörige ist und ob eine Krebserkrankung auch etwas Gutes haben kann.
Gast: Christian Scherer, Krebshilfe Steiermark
Aus Datenschutz-Gründen ist dieser Inhalt ausgeblendet. Die Einbettung von externen Inhalten wird nach Zustimmung in den Datenschutz-Einstellungen aktiviert.
Text zur Folge
Wir sagen immer, die Angehörigen sind die heimlich Betroffenen.
Willkommen bei „Gesund informiert“, deinem Podcast, der Gesundheit verständlich macht. Wir sind Anja und Bianca von „Gesund informiert“ und wir versorgen dich mit Fakten zum Thema Gesundheit.
Jedes Jahr am 4. Februar findet der Weltkrebstag statt. Dieser Tag wird dazu genutzt, um über die Erkrankung Krebs zu informieren und aufzuklären. Und das machen wir auch heute im „Gesund informiert“-Podcast, denn wir haben den Geschäftsführer der Krebshilfe Steiermark, Christian Scherer, bei uns zu Gast. Herzlich willkommen!
Schönen guten Tag.
Danke, dass Sie bei uns sind.
Sehr gern.
Herr Scherer, ich darf Sie bitten, sich selbst kurz vorzustellen und uns zu erzählen, warum Sie genau der richtige Mann sind, wenn es um die Krebsaufklärung geht.
Also, meine Herkunft ist folgendermaßen: Ich habe ein Teilstudium der Medizin und komme von der beruflichen Erfahrung her aus dem Pressewesen, der Journalistik, aus Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. Ich bin jetzt seit 1993 Geschäftsführer der Österreichischen Krebshilfe Steiermark, bin mittlerweile der Dienstälteste – und das hat sicher den Vorteil, dass ich die Entwicklung über beinahe drei Jahrzehnte schon verfolgt habe. Ich glaube deshalb, Altes und Neues aus einer durchaus realistischen Sicht einschätzen zu können.
Das ist eine sehr, sehr lange Zeit. Da haben wir heute den perfekten Mann da!
Dann fangen wir gleich an: Jährlich erkranken etwa 42.000 Menschen an Krebs in Österreich. Das ist eine ganz schöne Menge. Welche Krebserkrankungen sind das und erwischt es eher Frauen oder Männer? Gibt es Unterschiede?
Ja, das ist natürlich abhängig von der Krebsart. Die "Big Three" sind bei der Frau natürlich der Brustkrebs – übrigens auch beim Mann, wenn auch etwa 100-mal seltener, weil der Mann ja auch eine Brustdrüse hat, deren Milchgänge im Laufe des Lebens entarten können, aber wesentlicher seltener.
Nummer zwei bei der Frau ist dann der Lungenkrebs, und da haben wir leider eine stark steigende Tendenz, weil Frauen etwa seit den 1970er-Jahren in gesellschaftlich relevantem Ausmaß zu rauchen begonnen haben. Deshalb haben wir jetzt schon Raucherkarrieren bei Frauen, die wir früher nur von Männern kannten – und entsprechend auch die Karzinome. Platz drei ist das Dickdarm- bzw. Mastdarmkarzinom, also der klassisch als „Darmkrebs“ bekannte. Bei den Männern haben wir analog zur Brust die Prostata, dann wiederum die Lunge an zweiter Stelle und den Darmkrebs auf Nummer drei. Insgesamt kann man nicht sagen, dass Krebs überwiegend eine Erkrankung des Mannes oder der Frau ist – tatsächlich etwas mehr Männer, aber nicht in einem Ausmaß, dass man das groß betonen müsste.
Sie sind jetzt schon seit ein paar Jahrzehnten Geschäftsführer der Krebshilfe Steiermark. Bitte erzählen Sie uns ein wenig über die Krebshilfe: Was ist sie, wie lange gibt es sie schon, wo gibt es sie – und vor allem ganz wichtig für unser Zuhörer und Zuhörerinnen: Was bietet sie an?
Die Krebshilfe wurde 1910 gegründet, unter Kaiser Franz Joseph – und in der Steiermark dann 1946. Das heißt, wir wurden im Jahr 2022 76 Jahre alt.
Wir waren lange Zeit eine reine Forschungsförderungsorganisation, haben auch Geräte angeschafft, etwa die ersten Endoskope – also Geräte, mit denen man innere Körperhöhlen untersuchen kann – und zytologische Labore eingerichtet, also Labore für Zellanalysen, in den 1970ern. Mit meinem Einstieg in den 1990er-Jahren haben wir dann begonnen mit Beratung, Betreuung und Begleitung – für Menschen, die an Krebs erkrankt sind, und ihre Familien. Und zwar mit Profis: mit klinischen Gesundheitspsycholog:innen, Psychotherapeut:innen, Diätolog:innen, Sozialarbeiter:innen und Pflegeberater:innen. Das ist eigentlich das, was wir heute am intensivsten machen – was uns am meisten fordert. Und das machen wir steiermarkweit, selbstverständlich auch mit mobilen Teams.
Kann ich einfach anrufen, wenn ich da Sorgen habe?
Es gibt mehrere Kanäle – natürlich auch Social Media. Der Klassiker: Man ruft an oder schaut auf krebshilfe.at, das ist die Website der Steiermark, und sucht sich dort alle Kontaktdaten. Man kann uns auch eine Mail schreiben und sieht auf der krebshilfe.at auch, was wir alles anbieten. Wichtiger Punkt: Wir sind wirtschaftlich unabhängig und finanzieren uns fast zu 100 % durch Spenden. Und: Wir arbeiten absolut kostenlos – unser Angebot ist keine wirtschaftliche Zusatzbelastung zur Krebserkrankung.
Alles, was du heute im Podcast an Tipps oder Empfehlungen hörst, verlinke ich dir auch in der Folgenbeschreibung.
Jetzt ist es ja bei der Diagnose Krebs so: Es zieht einem den Boden unter den Füßen weg. Es kommen Gefühle wie Angst, Trauer, Wut, Verzweiflung. Schockstarre. Man weiß überhaupt nicht, was jetzt mit einem passiert. Was sind denn die größten Herausforderungen, wenn man die Diagnose Krebs bekommt?
Eine Krebsdiagnose trifft den oder die Betroffene zumeist zum ersten Mal. Das ist genau der Unterschied: Für die Onkologen, die Pflegenden und Beratenden ist es – so ernst sie es nehmen – doch Teil des Alltags. Wir haben da alle eine enorme Expertise. Aber beim Patienten – oder auch beim Angehörigen – ist es genau das Gegenteil: hohe emotionale Betroffenheit. Angst. Angst ist überhaupt das zentrale Wort in dieser Situation. Und dann natürlich die völlige Überforderung: Was passiert mit mir? Was passiert, wenn ich es nicht schaffe? Wie lange werde ich noch leben können? Wie hoch stehen meine Chancen? Diese Fragen kommen im Verlauf der Diagnose und Therapie immer wieder – an unterschiedlichen Punkten – und vom Gegenüber beantwortet.
Die Angst ist die größte Herausforderung, höre ich. Was ist die konkrete Empfehlung – wie gehe ich damit um?
Mit Angst umgehen heißt: sich Hilfe holen. Da brauchen Sie jemanden, der wieder die Ratio, den Verstand, die Fakten in diese Situation holt, vergleicht, relativiert – und das kompetent, natürlich. Es nützt in der Situation nichts zu sagen: „Das wird schon wieder“ und „Wirst schon sehen“ und „Die Zeit heilt alle Wunden“ – und all diese Dinge, die wir kennen. Sie müssen hier sehr konkret, sehr fundiert und sehr kompetent diese Angst bekämpfen. Und in dem Moment, in dem diese Angst gestoppt worden ist, kann man daran arbeiten, die Angst kleiner zu machen. Und wenn sie sich verkleinert, dann gehen plötzlich Fenster und Türen auf – in Räume, wo wir dann tatsächlich inhaltlich daran arbeiten können, welche Lage jetzt vorliegt. Dann hören einem die Menschen auch wieder zu, sie verstehen, projizieren sich selbst in die Zukunft, sie sehen sich auch selbst wieder in der Zukunft tun – und das ist der erste und wichtigste Schritt in diesem gesamten Kommunikationsprozess, in der Begleitung eines Patienten.
Das heißt, es ist zwar gut, wenn ich mit meiner Freundin über meine Sorgen spreche – aber der richtige Ansprechpartner oder ein weiterer wichtiger Ansprechpartner muss dann ein Profi sein. Nicht zögern und Hilfe in Anspruch nehmen.
Absolut. Ich würde von meiner Seite sagen: Das eine und das andere schließt sich nicht aus. Die hohe emotionale Bindung, die man zu einem engen Freund oder einer Freundin hat, hat ja auch eine Qualität, was das Vertrauen betrifft zu dieser Person. Wahrscheinlicher ist es allerdings, dass diese Person – je näher sie dem Erkrankten steht – umso stärker selbst auch indirekt betroffen ist. Wir sagen immer: Die Angehörigen sind die heimlich Betroffenen. Wenn Sie zum Beispiel in einer Ehe, in einer Lebenspartnerschaft sind mit einem betroffenen Krebspatienten, dann sind Sie „komorbid“, wie man sagt. Das heißt, Sie sind miterkrankt – auf eine völlig andere Weise. Natürlich haben Sie keine Krebszellen in sich. Aber Sie sind Teil eines schwer traumatisierten sozialen Systems. Und wie gesagt: Je enger Sie zu einem Patienten in Beziehung stehen, umso dringender wird es empfehlenswert, dass auch diese Personen sich professionelle Hilfe holen.
Jetzt bringen wir es wieder einen Schritt zurück. Ich bekomme die Diagnose Krebs – wums, Erde zieht sich auf. Wie sage ich denn meinen Lieben … wie sage ich es meiner Familie, meinen Freunden, meinen Kolleginnen in der Arbeit?
Wie sage ich es meinem Umfeld? Ja, es gibt Menschen, die in der Situation vielleicht primär an sich denken, und es gibt umgekehrt genauso Menschen, die primär eher mehr Sorge haben, was ihr nahes Umfeld betrifft – ihre Familie, ihr Freundeskreis –, wie denn die das aufnehmen und wie bestürzt die wohl sein mögen. In jedem Fall ist es enorm wichtig, zu versuchen, offen zu kommunizieren – aber gleichzeitig zu vermeiden, dass ich Menschen mit etwas bedränge, mit einer Information, die sie in dieser Ausführlichkeit vielleicht gar nicht haben wollen. Und dazu komme ich jetzt im Familiensystem, was kleinere Kinder zum Beispiel betrifft: Es ist wahrscheinlich genauso schlecht, seinem vier-, fünf-, sechsjährigen Sohn die Information, dass ich schwer erkrankt bin, vorzuenthalten, wie es ein Fehler wäre, zu missachten, dass ich starke Signale bekomme – nachdem ich das angesprochen hab –, vom Sohn, dass es das war, und er möchte jetzt eigentlich nicht mehr wissen. Und was das soziale Umfeld betrifft – bei den Freunden geht das noch leichter.
Bei den Bekannten wird’s schwieriger. Und zwar deshalb, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass hier die Patienten relativ bald und rasch schon gut umgehen können mit der Kommunikation ihrer Erkrankung. Aber entferntere Bekannte, also Leute, die man so gelegentlich trifft – „Hallo, wie geht’s?“ und das war’s dann auch –: Die wechseln dann oft, wenn sie den Patienten sehen, die Straßenseite. Und zwar deshalb, weil sie einfach eine gewisse Scheu, eine Angst und eine große Unsicherheit empfinden, wie man wohl mit dieser Situation jetzt umgehen soll – aus ihrer eigenen Sicht. Die Patienten sehen das oft viel entspannter als das mittel- bis weit entfernte soziale Umfeld.
Na, das versteh ich gut. Weil was soll man groß sagen? „Es tut mir leid“ – hilft ja alles nix. „Wird schon werden“
Wenn man's weiß …Dann ist es sehr klug, es anzusprechen und dann zu warten, was der Patient oder die Patientin darauf sagt. Und einfach mal zuzuhören.
Hat man eine Verpflichtung, die Diagnose bekannt zu geben? Wie ist das mit dem Arbeitgeber? Wie ist das bei den Kolleginnen – wie mache ich das?
Es gibt natürlich im österreichischen Arbeitsrecht die Schutzbestimmung, dass ein Arbeitgeber – und selbstverständlich auch Kolleginnen und Kollegen, Abteilungsleiterinnen – kein Recht auf eine Diagnose haben, die ich selber habe. Also was den Wissensstand betrifft. Ich kann nur raten, sich gut zu überlegen – und zu besprechen in der Familie –, ob man die Diagnose tatsächlich auf den Tisch legt, was jetzt das berufliche Feld betrifft. Es wird in vielen Fällen sehr entlastend empfunden, wenn man über diese Diagnose zumindest in Umrissen einfach mal Klarheit geschaffen hat.
Die Angehörigen sind ja selbst einer extremen Herausforderung gegenübergestellt.
Was soll ich denn überhaupt tun, wenn ich Angehöriger bin? Wie kann ich denn gut unterstützen?
Als Angehörige unterstützen ist sehr oft für viele intuitiv – gerade für die nächsten Angehörigen. Gleichzeitig wissen wir, dass die Familiensituation als Ganzes oft verhindert, dass ich unterstützen kann, weil ich eben Teil des Familiensystems bin und dieser großen Last mitleide. Und hier sind Patienten oft in einer Situation, die man – das ist nicht zynisch, auch wenn es so klingt – mit einem Krankheitsgewinn versehen kann. Das bedeutet – jetzt, um es überspitzt auszudrücken: Für eine Krebserkrankung bekommen sie auch umgekehrt etwas. Zum Beispiel die Freiheit, sich von bestimmten Dingen freizuspielen – oder zu glauben, sich freispielen zu können. Und genau das, dieses „Haben“, das bekommen Sie als Angehöriger nicht in diesem Familiensystem. Da sind Sie nur in der Soll-Schale, da zahlen Sie nur ein – aber Sie kriegen nichts raus. Und das ist dann sehr persönlichkeitsabhängig, wie verantwortungsvoll der Patient oder die Patientin mit diesem „Krankheitsgewinn“ – unter Anführungszeichen – umgeht. Aber es gibt Menschen, die dann in dieser Situation den sehr, sehr klar und sehr radikal reklamieren. Und da spürt das Umfeld dann auch sehr stark. Für Angehörige ist auch eine Selbsthilfegruppe sehr nützlich – nicht nur für die Patienten selbst. Mit der Selbsthilfe Steiermark gibt es hier eine sehr gute Plattform, die auch für Krebs-Selbsthilfe entsprechende Gruppen anbietet.
Man ist ja machtlos, oder? Als Angehöriger. Ich würde wahrscheinlich Fakteninformationen suchen – im Internet, wo auch immer – um irgendwie unterstützend zu wirken.
Jetzt ist da die Krux verborgen, weil da gibt’s ja auch viele Fehlinformationen. Gibt es Seiten oder Stellen, die Sie empfehlen, wo ich mich gezielt informieren kann, wenn ich eine Krebsdiagnose habe – beziehungsweise ich als Angehöriger mich informieren möchte?
Da gibt es sozusagen „Dr. Google“, ja – der wird oft gefragt. Wir machen es grundsätzlich nicht so, dass wir bestimmte Webadressen nennen. Weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass Patienten und Angehörige so lange suchen, bis sie die Information in der Form finden, wie sie glauben, dass sie für sie selber passt. Und das ist natürlich – was Wahrheitsfindung betrifft und Fakten – ein ganz schlechter Vorgang. Er ist zwar psychologisch erklärbar, aber er wird zwar zur Zufriedenheit führen – aber er wird nicht dazu führen, dass ich mein Problem besser in den Griff kriege. Und deshalb ist es sehr klug, sich – wenn man in der Klinik ist – an die entsprechenden Ärztinnen und Ärzte, an die Psychologinnen, die klinischen Gesundheitspsychologen zu wenden. Und wir haben praktisch das identische Angebot, was klinische Gesundheitspsychologie bzw. Psychoonkologie betrifft, eben dann innerhalb der Krebshilfe – außerhalb der Klinik. Ja, weil das ist ja das Problem: In der Klinik sind sie perfekt versorgt – und dann kommen sie nach Hause und dann fallen sie in ein tiefes Loch. Oft ist es auch so, dass die wahren Probleme – sie werden uns dann von den Patienten und Angehörigen als „wahre Probleme“ geschildert – erst dann entstehen, wenn sie eben aus der Klinik rauskommen und zu Hause sind. Und dann feststellen: Es ist nichts mehr so, wie es war. Ja, das ist die Illusion, die man hat – dass man von den Ärztinnen und Ärzten der Klinik in einen Zustand gebracht wird, in dem ich nach Hause gehe – und alles ist wieder so. Also viele – wenn nicht sogar die meisten – der Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, entstehen dann erst, wenn die Menschen wieder dort sind, wo sie eigentlich sein wollen: zu Hause.
Jetzt haben Sie gesagt, Herr Scherer, man ist ja im ständigen Austausch mit den Expert:innen – intramural, im Krankenhaus – dann auch draußen. Es sind immer Expert:innen.
Kann ich bei diesen ganzen Entscheidungen, die da so auf mich herankommen, mitentscheiden? Und – ich häng gleich noch eine Frage an, weil es so gut dazu passt – was mache ich denn, wenn ich die gar nicht verstehe, die Expertinnen? Die reden ja manchmal ganz eine andere Sprache als ich selber.
Ja, Experten und Expertinnen sprechen tatsächlich oft eine andere Sprache als die, die man selber versteht. Und das muss man sofort reklamieren. Man kann das auch zeitlich nah bei seinem Gespräch reklamieren, indem man sagt: „Das habe ich jetzt nicht verstanden.“ Wir wissen nur – das ist auch sehr gut untersucht –, dass in beispielsweise Erstdiagnose-Aufklärungsgesprächen sehr oft die Dinge zwar gesagt werden, auch oft in verständlicher Form, aber sie kommen aus einem anderen Grund nicht an, weil man emotional blockiert ist – in dem Moment, in dem man konfrontiert wird mit dieser Diagnose „Krebserkrankung“. Es ist oft besser, hier diese Gespräche abzubrechen und Zeit zu geben – vielleicht auch einen zweiten Termin zu machen, wo diese Emotionalität schon stabilisiert ist.
Könnte ich auch jemanden mitnehmen – zum Beispiel, der dann für mich hört? Absolut. Ich rate auch sehr dazu, eine Person des Vertrauens hier mitzunehmen – wenn die Möglichkeit besteht, wenn das angekündigt wird. Diese Person – der man wirklich sehr eng vertrauen sollte – ist da möglicherweise in der Lage, andere Dinge mitzunehmen in der Erinnerung und das dann einfach zu spiegeln, ja.
Vielleicht erinnert mich die Person auch an Fragen, die ich vergessen habe zu stellen?
Gar keine Frage. Ich bin auch ein großer Befürworter von zweiten Meinungen –, wenn sie gewollt werden. Es gibt Personen, die relativ klar vertrauen – der diagnostizierenden Stelle –, wo sich das gar nicht stellt. Und es gibt Personen, die ein wirklich ganz großes Bedürfnis haben, eine zweite Fachkraft dazu zu befragen, wie denn die das so sieht.
Kann ich mitentscheiden?
Mitentscheiden kann ich immer – wenn es um eine Operation oder eine medikamentöse Behandlung geht. Also diese beiden werden es immer sein – zu diesem Thema: immer.
Die kann ich natürlich auch verweigern. Allerdings muss ich – und das ist schon ganz stark zu betonen – dann auch mit den Folgen und den Konsequenzen leben, ja.
Das ist natürlich wichtig, dass man vorher verstanden hat, was der Nutzen ist von der Behandlung und welche Schäden entstehen können.
Wenn alle Fakten möglichst objektiv am Tisch liegen, wenn ich weiß, was hat es für Konsequenzen, wenn ich diese Therapie eingehe, was hat es für Konsequenzen, wenn ich sie nicht tue – dann kann ich ja letztendlich wirklich sagen: „Das mach ich – A“ oder „Das mach ich nicht – B.“
Die Diagnose Krebs stellt uns alle vor Herausforderungen. Aber da ist ja nicht nur die Diagnose, sondern da ist ja dann auch das Leben mit Krebs an sich – der Umgang mit der Erkrankung Krebs.
Krebserkrankungen – und das unterscheidet vielleicht dieses Gespräch von einem, das 1970 stattgefunden hätte – Krebserkrankungen sind zu einem großen Teil chronische Erkrankungen geworden. Durch die modernen Therapien: chronische Erkrankungen mit zum Teil fast oder weitgehend uneingeschränkter Lebensqualität. Es gibt immer mehr Menschen, die jetzt – in dem Moment, in dem wir diese Sendung aufnehmen – mit Krebs in der Steiermark leben. Noch vor Jahrzehnten war eine Krebserkrankung in den meisten Fällen eine Erkrankung, die sehr rasch zum Tode geführt hat. Und das bedeutet aber auch, dass wir als Gesellschaft aufgerufen sind, uns damit auseinanderzusetzen, dass Krebserkrankungen sehr viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger aktuell betreffen. Und die sogenannten Langzeitremissionen – also die Langzeitstabilisierung einer Erkrankungsform – führen dann tatsächlich dazu, dass solche Menschen vielleicht später, im hohen Alter, an einer ganz anderen – vielleicht Herz-Kreislauf-Erkrankung – sterben,
obwohl sie sie weiterhin haben. In ihrem klinischen Alltag zu Hause spielt sie eigentlich keine große Rolle mehr.
Das heißt: Von Krebs ist man nicht geheilt?
Krebs zu heilen – da sind die Fachleute im medizinischen Bereich sehr vorsichtig. Sie sprechen eben sehr gerne – bei Menschen, die schon sehr lange mit einer Krebserkrankung leben und auch drauf und dran sind, diese Erkrankung zu vergessen, was ja der ideale Zustand ist – sehr gerne von diesen Langzeitremissionen, von langen stabilen Krankheitsverläufen, die zwar noch eine Krankheit darstellen, aber vielleicht doch nur mehr Früherkennungsuntersuchungen oder das eine oder andere Medikament bedürfen.
Aber es wäre vielleicht wirklich eine Illusion, in vielen Fällen zu glauben, man würde diese Krankheit mehr oder weniger „aus dem Körper kicken“ können – in jedem Fall.
Krebs ist ja nicht gleich Tod.
Das ist vielleicht die wichtigste Botschaft überhaupt, die wir heute mit gutem Gewissen bringen können: Krebs hat mittlerweile mit dem Leben mehr zu tun als mit dem Tod. Einfach deshalb, weil es das Leben zwar sehr stark verändert, weil es uns sehr fordert – in allen Reaktionen, die wir auf diese Erkrankung setzen müssen –
in der Akutphase natürlich auch sehr drastisch. Auch später wird unser Leben vielleicht nie mehr das gleiche sein. Aber ich habe schon so viele Leute erlebt, die etwas gesagt haben, was sich niemand vorstellen kann, der so eine Erkrankung noch nicht gehabt hat: Nämlich: „Der Krebs hat mein Leben nicht nur negativ verändert.“
Und in manchen Fällen hab ich schon gehört: „Krebs war – im Nachhinein betrachtet – das Beste, was mir passieren konnte. Ich war festgefahren in einer Lebenssituation, ich war wie versteinert – mit einem Panzer – und das hat alles aufgebrochen, hat mich gezwungen, alles neu zu ordnen, und es ist jetzt besser als vorher.“ Das ist vielleicht die Ausnahme – wir wollen sie sicher nicht da jetzt umdrehen. Aber man kann wirklich sagen, dass Krebs definitiv in vielen, vielen Fällen nicht mehr als Todesurteil gesehen werden kann.
Wir können tatsächlich fast – oder rund – 50 % aller Krebsarten mittlerweile heilen. Bei manchen sind wir weit über 90 %. Natürlich gibt es noch „Baustellen“ – unter Anführungszeichen –: Lungenkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs usw. Aber in Summe – über alle Krebsarten betrachtet – etwa jede zweite Krebserkrankung kann in eine Langzeitremission, in eine stabile Phase oder über Heilung übergeleitet werden. Und das ist, glaube ich, ein enormer Erfolg der letzten Jahrzehnte.
Je länger ich mit Krebs überlebe oder mit dem Krebs lebe, desto mehr entferne ich mich von diesem Expertentum, nehme ich an. Weil man geht ja dann nicht mehr wöchentlich in die Klinik oder zum Psychologen. Welche Rolle spielt da die Selbsthilfe, und gibt es da Patientinnenorganisationen, die Sie empfehlen könnten?
Selbsthilfe ist ein ganz wichtiges Moment – für genau diejenigen, die erkrankte Menschen haben wollen als auskunftsgebende Stelle. Das einzige Risiko ist, dass man zu idealistische, idealtypische Beispiele hat und sich das dann selbst als Maßstab nimmt – mit dem Gefühl zu versagen, wenn es bei einem selbst nicht so klappt. Aber insgesamt ist beispielsweise die Selbsthilfe Steiermark – ich glaube, sie ist bei Jugend am Werk angesiedelt – eine sehr gute Stelle, um Selbsthilfegruppen für Krebs – bei Selbstbetroffenheit oder Angehörigen-Betroffenheit – einfach darzustellen und dort sich einfach mal anzuschauen, ob das passt.
Es ist höchst individuell. Es gibt nicht nur unterschiedliche Krebsarten, sondern wir sind auch alle unterschiedlich und besonders. Gibt es allgemeine Tipps, die Sie einer Krebspatientin oder einem Krebspatienten mitgeben möchten?
Sich eingestehen, wenn der Punkt kommt, dass man selbst nicht weiterkommt. Ich sag immer nur: Hören Sie in sich hinein. Versuchen Sie herauszufinden, ob Sie Hilfe brauchen. Wenn Sie Hilfe brauchen, dann holen Sie sich diese immer einen Tag früher, als Sie glauben, dass Sie sie brauchen. Gehen Sie – wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie Unterstützung brauchen – ganz rasch einfach zu der Stelle in der Klinik oder zur Krebshilfe.
Das ist eine wunderbare Überleitung für mich, weil ich komm jetzt schon zur Zusammenfassung,
weil wir am Ende der Folge angelangt sind.
Nehmen Sie sich Hilfe – lieber früher als später.
Gehen Sie zu den Expertinnen.
Sprechen Sie über Ihre Herausforderungen.
Und da kann ich beispielsweise sagen, dass Sie bei der Krebshilfe Unterstützung finden – unter: www.krebshilfe.at
Was ist Ihr persönlicher Tipp für ein gesundes Leben?
Die Möglichkeit ist am ehesten gegeben, wenn ich nicht permanent gegen meine innere Stimme –gegen all die Signale, die ich von meinem Körper, aber auch von meiner Psyche bekomme – agiere. Wenn ich diesen Widerstand aufgebe, habe ich den größten Schritt zu einem gesunden Leben gemacht.
Das ist ein wundervoller Tipp. Vielen Dank. Das war’s für heute. Danke, Herr Scherer, für die Zeit und fürs Beantworten meiner Fragen.
Wir hoffen, dir zu Hause hat auch diese Folge gefallen und du bist auch das nächste Mal wieder mit dabei. Wenn du mehr zum Thema Gesundheit wissen willst oder den Podcast nachhören möchtest, dann schau auf unserer Webseite gesund-informiert.at.
Wenn du Themen für uns hast, die dich interessieren, schreib uns einfach unter: gesund-informiert@gfstmk.at
Wir freuen uns schon auf ein Wiederhören.
Bis dahin – bleibt gesund und informiert.
Baba, Anja und Bianca von Gesund informiert – dein Podcast, der Gesundheit verständlich macht.